History • Teil1 • Samain I & II • Wie alles begann • Dezember 1982 - April 1983
© Craigg, Miñoza, Wiethoff • Auszüge aus "Vicious Circles", Jeffrey Elias Craigg
► = interner Link / → = externer Link / ♪ = Audio / ♫ = Video / ►xxx‼ = interner Link folgt
► = interner Link / → = externer Link / ♪ = Audio / ♫ = Video / ►xxx‼ = interner Link folgt
"Mittelmäßige Geister verurteilen gewöhnlich alles, was über ihren Horizont geht."
(Francois Duc de La Rochefoucauld, französischer Schriftsteller, ~1619–1663)
►Peter war gut gelaunt. Der Bühnenaufbau für →Green1, die an diesem Abend für volles Haus [im ►Rockpalast Hohenlimburg] sorgen würden, war schnell und problemlos vonstatten gegangen. Die Theken im Saal und in der Kneipe waren für den Ansturm gerüstet und betriebsbereit und nun, kurz vor Einlass, gab es nichts mehr zu tun. Um die Zeit bis zum Konzertbeginn zu überbrücken, und da seine erwarteten Freunde ►Manfred Bayer [Dave Herod] und ►Peter Hennig noch nicht eingetroffen waren, gab sich Peter mit einigen Bekannten den Freuden eines Würfelspieles hin. Seine Glückssträhne hob seine Stimmung wie seinen Alkoholpegel, und er war überzeugt seine Pläne heute in eine aktive Phase der Verwirklichung lenken zu können.
Die Schlappe mit ►Laissez Faire‼ war für ihn eine ernüchternde Rückkehr in die Musik gewesen. Aber inspiriert durch die New Wave Of British Heavy Metal2 mit neuen Bands wie →Iron Maiden, →Saxon oder →Def Leppard, war er überzeugt, keinen besseren Zeitpunkt für die Gründung einer eigenen Band erwischen zu können. Das Eintreffen seiner einstigen Laissez Faire Mitstreiter beendete seine Teilnahme an der Würfelrunde und zunächst auch seine ausgezeichnete Laune. War Peter Hennig sofort Feuer und Flamme, summierten sich in Manfred Bayer die Zweifel und Bedenken und steuerten einem klaren Nein entgegen.
Das Problem, Peters Problem, war damit konkret umrissen. Er kannte zu diesem Zeitpunkt keinen anderen freien Gitarristen, zu dem keinen von der Spielweise eines Manfred Bayer. Keineswegs war der Gitarrist ein Virtuose, er war gut, zweifelsohne, aber es gab bessere. Doch Bayer spielte sein Instrument mit einer bemerkenswert klanglichen Wärme, überzeugte durch Genauigkeit und vermochte die musikalischen Ideen seiner Mitspieler bzw. eines Komponisten zu reproduzieren.
»Er [Manfred Bayer] war einfach negativ«, berichtete Ancaster während der Recherche zu dieser Biographie. »Wenn überhaupt, meinte er, solle man es wie Manietta [Ex-►High Voltage‼ und Laissez Faire Gitarrist] machen, der mit ►Skin Deep‼ eine New Wave Band aus der Taufe gehoben hatte. Heavy Metal sei tot und überhaupt hätten wir keine Chance einen Proberaum zu finden und Geld für ein anständiges Equipment aufzutreiben. Darüber hinaus fehle uns ein guter Bassist, und ein solcher sei eh schwer aufzutreiben und so weiter und so weiter. Er war ätzend und machte mich mit der Zeit so wütend, dass ich ihm am liebsten eine rein gehauen hätte«.
Kurz davor das Gespräch frustriert und ergebnislos zu beenden, kam die Wende in Person ►Bernd Emsermanns [Bernard "Bernie" Eams]. Ohne die drei an dem großen runden Tische in der Ecke der Eingangstür zu bemerken, rannte er geradezu in die Kneipe, fand - da das Konzert im Saal begonnen hatte - sofort einen freien Stehplatz und bestellte, ungewöhnlich, ein großes Krefelder. Das Glas kaum in den Händen, trank er es in einem Zuge leer. Für einen allgemein bekannten notorischen Nichttrinker derart ungeheuerlich, dass selbst ►Norbert Höhne‼, an diesem Abend in der Kneipe eingeteilt, nur zögerlich und mit gerunzelter Stirn einen weiteren Krug hinstellte.
Die Situation, die schließlich zur Gründung einer Heavy Metal Band führte, war grotesk und sie verführt gerade dazu, sie bildhaft darzustellen. Aus den Berichten der Augenzeugen minuziös rekonstruiert, schilderten sie Peter Miñoza [Peter Ancaster] und ►Ralf Wiethoff [Ralph Veety] 1992 in ihrem unveröffentlichten Roman 'Ekrons Kinder':
Just in dem Moment, als ich ... aufsah, rauschte ein Schatten an mir vorbei. An der langen, dunkelbraunen Mähne und dem seltsamen Gang, den ein leichtes X in seinen Beinen verursachte, erkannte ich sofort, dass es sich um Bernd Emsermann handelte, den ich gut ein Jahr zuvor an gleicher Stelle kennen gelernt hatte. Damals zupfte er den Bass in einer Band namens ►The Skull‼, der auch Bayer und Henning angehörten. Wie stets trug er einen braunen Wollpullover und ein verwaschene schwarze Jeans, deren schlauchartige Beine in zwei riesigen Basketballstiefeln steckten.
Er schoss ohne uns wahrzunehmen zielstrebig auf den Tresen zu und bestellte mit laut schneidender Stimme ein großes Krefelder. Das war ungewöhnlich, denn Bernie trank normalerweise nicht. Ich wandte mich auf meinem Stuhl um und sah zu meiner äußersten Verwunderung, wie er sich das Getränk mit einem Zug in den Schlund stürzte. Ich tippte Peter an.
»Achte mal auf Emsermann, Alter«.
Zwei weitere Glasinhalte verschwanden im Rachen des Freundes. Somit musste er jetzt schon besoffen sein, denn er vertrug absolut nichts. Und das nur fünf oder zehn Minuten nach seiner Ankunft!
Immerhin konnte er dadurch eine Menge Schotter sparen, denn wofür Peter einen völlig bemalten Deckel brauchte, reichten bei Bernie bereits fünf Mark, um sich einen Rausch erster Güteklasse zu verschaffen.
Peter grinste mich an. »Wetten, da steht unser Bassmann und in Hagen fragen sich gerade drei nette Jungs unendlich frustriert, was bei ihnen wohl schief gelaufen sein könnte?«
»Ja, ich schätze das kommt hin«.
»Hast du Bock mit Emsermann was aufzureißen, Manni?«
»Kriegste den ... auf Rezept?«
Peter drehte Manfreds Kopf zur Zapfstelle. »Nein, der steht an der Theke«.
Peter wartete Manfreds Antwort nicht ab. Er erhob sich und gesellte sich zu Bernie, dessen Rausch bereits sichtbare Formen annahm.
»Euch werd ich’s allen zeigen!« schleuderte er Nobi entgegen, der ihm soeben das vierte Glas hinstellte. »Allen!«
Nobi blieb cool: »Halts Maul und sauf!«
Er tat’s. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und vermutete, dass da etwas gar Fürchterliches für ihn geschehen sein musste. Armer Peter, schoss es mir durch den Kopf, doch da brüllte Bernie ihn schon an.
»Du bist genau so einer!«
Peter zuckte zurück. »Reg dich ab, Mann! Du hast wohl ..«.
Bernie ballerte die Faust auf den Tresen. »Ich reg mich auf? Ich reg mich auf?« kreischte er beinahe hysterisch und schaute sich dabei um. Sein Blick fiel auf Manfred. Der versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Vergeblich.
»Noch so’n Nassauer! Ich bin genau richtig! Genau richtig! Die Birne sollte man euch runterhauen. Mit meinem Bass! Dem da«, er zeigte auf Manfred, »genau wie diesem Elbschwimmer ►[Martin] Gombik, diesem Mösenlecker!«
Bernie ächzte und ich glaubte, Schaum aus seinem Mund treten zu sehen. Peter blieb ruhig. Er nahm von Nobi ein Glas entgegen und drückte es Bernie in die Hand.
»Trink«!« Ein gewaltiger Schluck - und der Bembel war leer.
»Haben dich wohl mächtig in den Arsch getreten, deine Jungs, was?« fragte Peter lauernd.
Bernie grunzte. »Lass mich mit ►Bronx‼ zufrieden. Wegen ‘ner Blunze3! Gombik lässt die Band wegen ‘ner Blunze platzen! Und Veety und ►[Mike] Brand stehen schweigend daneben!«
Peter klopfte ihm besänftigend auf die Schulter. »Setz dich erstmal zu uns. Ich habe das Gefühl, es gibt ‘ne Menge zu quatschen..«.
Vier Stunden später schwankten wir zu dritt, abgefüllt wie Amtmänner ... in die Taverne. Die Inhaber des griechischen Restaurants im Hohenlimburger Stadtteil Nahmer, Kosmas und Wasili Louikidis, standen mit uns Rockpalastleuten auf gutem Fuß. Es kam das eine oder andere Mal vor, dass Kosmas eine Flasche Ouzo rüberwachsen ließ, wenn in den frühen Morgenstunden hinter verschlossenen Lokaltüren mehr Rambazamba stattfand, als in anderen Hohenlimburger Kneipen am ganzen Wochenende.
Hennig und Manfred hatten sich verdrückt. Aber für Bernie und Pete waren die beiden auch nicht mehr allzu wichtig, wenn ich sie richtig verstanden hatte. Ihr Projekt stand und die Aufgaben waren untereinander verteilt. Selbst ich, der ihren dünkelhaften Plänen mit Skepsis gegenüberstand, war als Roadmanager, kurz Roadie, fester Bestandteil ihres Vorhabens geworden. Obwohl ich neben ihnen am Tresen stand, hatte mich niemand gefragt, ob ich überhaupt Lust dazu hatte. Typisch!
Hennig und Bayer blieb die Rolle von Statisten ...4
*****
Dass die Neugründung einer Band keine Bierlaune sein darf, bewies Emsermann noch am selben Tag. Obwohl er sich erst gegen halb fünf Uhr morgens von Ancaster getrennt hatte und trotz seines Alkoholspiegels mit seinem Wagen heim nach Iserlohn gefahren war, stand er gegen elf bereits wieder auf der Matte und klingelte den Sänger aus dem Bett.
Proberaumsuche war angesagt und in den nächsten Tagen bis Weihnachten legten die beiden Bandgründer einige Kilometer im Raum Hagen und Iserlohn zurück. Ergebnis- aber nicht hoffnungslos.
Schon diese Fahrten, die stets ohne Bayer und Hennig stattfanden, belegten von Beginn an wer in der Band das Sagen besaß. Peter wusste welche Musik in Bernds Kopf herumspukte. Sie war genau seine Sache, und dahingehend überließ er dem Bassisten absolut freie Hand. Bernd hingegen honorierte das Peter gegenüber mit einer ernsten Loyalität. Er hatte einen guten Texter für seine Kompositionen gefunden und zum ersten Mal in seiner Laufbahn überließ ihm jemand die musikalische Gestaltung einer Gruppe [Anm.: Mit nur wenigen Einschränkunen galt as auch bei Bronx.]. Eine Chance, die Emsermann sich keinesfalls wieder nehmen lassen wollte, und trotz Ancasters zeitweiligen Aufbegehrens gegen seine Personalpolitik, machte Emsermann unmissverständlich klar, dass Bayer und Hennig lediglich Lücken füllten und zum entsprechenden Zeitpunkt durch bessere Musiker ausgetauscht werden würden.
In der Woche nach Weihnachten war Emsermann fündig geworden und präsentierte einen Proberaum in der Gaststätte Holtschmit in Letmathe-Oestrich. Eine vorübergehende Lösung zwar, die Band baute ihr Equipment auf der Bühne des Tanzsaales im oberen Stockwerk auf, aber sie konnten beginnen.
*****
Ihre Probenpremiere fand am Dienstag den 4. Januar 1983 statt und entlud sich in kreativem Schaffen. »Force Of The Silence« [►Lyrics] entstand und eine zweite Nummer, »Precious Metal« [►Lyrics] konnte halb fertig gestellt werden. Erstere flog wenige Monate später wieder aus dem Repertoire, die andere behielt die Band bis November im Programm. Am Donnerstag den 6. Januar setzten sie mit »Thor«5 [►Lyrics | ►Audio ♪ | ►Video ♫] den Grundstein für ihren Stil bis zum frühen Herbst 1984 und sie fanden ihren Namen: Samain.
Peter Ancaster erklärte die Namensfindung in einem 2005 auf ihrer offiziellen Internetseite [Anm.: Alte Homepage offline] veröffentlichten Kurztext:
SAMAIN kam nicht über historische Texte und Kalender zu ihrem Namen, sondern eher profan durch einen Kinofilm namens →Halloween II. ...
Obwohl insbesondere Peter Ancaster in dieser Epoche (1981–1984) ein ausgeprägtes Interesse an Mystik und Mythologie entwickelte, verlegten er und Bernard Eams ihre Namensuche in jenen Anfangstagen der Band eher auf Begriffe aus der englischen Literatur. "Minas Tirith" (aus J.R.R. Tolkien →'Der Herr der Ringe', 1966) war im Gespräch, "Strident Blare" (Schrilles Brüllen; aus William Golding '→The Lord Of The Flies', 1954) oder "Guildenstern" (ein Name aus William Shakespear →'Hamlet' um 1601). Nichts davon setzte sich durch oder fand eine Mehrheit.
Die Band probte bereits seit Anfang Januar 1983, war jedoch noch immer namenlos. Eigentlich etwas belangloses, doch für die Bandgründer Ancaster und Emsermann ein unerträglicher Zustand.
Am Donnerstag den 6. Januar traf sich die Gruppe im ►Rockpalast Hohenlimburg‼ um »einige grundlegende Dinge zu klären«. Eines der Themen jedenfalls war die endgültige Namengebung. Aber die Stimmung war schlecht und Emsermann übel gelaunt. Um die Lage nicht eskalieren und aus einem Gesprächsabend eine Kontroverse werden zu lassen, wurde einstimmig der Entschluss gefasst, sich gemeinsam »diesen Schinken« anzusehen.
Der Film war, wie erwartet, grässlich. Bis auf eine einzige, für die Band entscheidende Szene: Als der wahnsinnige Mörder Michael Meyers mit dem Blut eines Opfers den Namen SAMHAIN an eine Mauer schmierte. Das Wort ergriff alle Bandmitglieder gleichzeitig. Jede weitere Diskussion war vom Tisch.
Man ließ das »h« in der Wortmitte aus graphischen Gründen weg. Dass es eine altirische Schreibweise ohne »h« gab, ahnte damals keiner von ihnen. Ebenso wenig wie irgendwer etwas über die Bedeutung des Wortes wusste. (Damit beschäftigte sich Peter Ancaster erst ab 1984) Doch zu diesem Zeitpunkt war es auch nicht wichtig. Die Band hatte einen Namen. SAMAIN waren endgültig geboren.
In seinem Tagebuch 1984 vermerkte Peter Ancaster:
»Samain geht auf keltisch (genauer auf goidelisch, einer mit dem Britannischen verwandten keltischen Sprache) zurück: samoni[os], altirisch samfhuin, samuin und samain, irisch samhain, gaelisch samhuinn. Es war die Nacht des keltischen Jahreswechsels, der nach unserem Kalender vom 31. Oktober auf den 1. November gefeiert wurde.
In spiritueller Hinsicht bedeutete samuin den Kelten 'Vereinigung', denn in dieser Nacht vereinten sich ihre Götter und die Geister der Toten mit den Lebenden. Die Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, der 'Anderwelt', verschwommen und öffneten sich. Es war ein Fest der Stille und der Dunkelheit. Feuer und Lichter wurden bei Abenddämmerung gelöscht, Speisen und Getränke, in den Tagesstunden zubereitet, nicht nur den Lebenden dargeboten, sondern auch den Geistern. Indes war es auch ein Fest der sexuellen Vereinigung zwischen Mann und Frau, zwischen Liebenden.
Etymologisch hingegen bedeutet der Name 'Ende des Sommers', keltisch sam(hradh), samos, 'Sommer', irisch samhain, keltisch samon(ios), 'Sommerende'.
→Papst Greogor IV. (?. Oktober 827 – 25. Januar 844) wandelte das keltische Samuin in →Allerheiligen um und führte es 837 als christlichen Feiertag in Frankreich ein. In England heißt es seit dem 16. Jahrhundert →Halloween. Noch heute indes ist Samhain, der 1. November, Feiertag in Irland.
Und dass Sam[h]ain Monats- und Festbezeichnung im →keltischen Jahr waren, bestätigt ein Fund aus dem Jahre 1897. In Coligny (Frankreich), in den Ruinen eines Apollotempels, entdeckten Archäologen die 73 Fragmente eines in Bronze gefertigten keltischen Kalenders*. Die ursprüngliche Tafel, datiert auf den Beginn des 2. Jahrhunderts, maß etwa 1,5 Meter in der Breite und 1 Meter in der Höhe.
[*Der Kalender von Coligny gleicht gegenwärtigen, vornehmlich esoterischen Kalendern in keiner Weise. Einen allgemeingültigen (einheitlichen) keltischen Kalender gab es nicht und die Kalendertafel von Coligny fand ihre Anwendung ausschließlich in Gallien.]«
*****
Mit der zweiten Probe jenes schicksalhaften Tages, stellte sich jedoch auch die Frage nach einem zweiten Gitarristen. Obwohl Bernd schon zu dieser Zeit Ralph Veety oder Mike Brand und manchmal beide ins Gespräch brachte, mochte er weder bei dem einen noch dem anderen vorstellig werden. Zum einen schien es als könnten sie in neuer Besetzung Bronx noch einmal auf Kurs bringen, zum anderen steckte der Ärger über deren Verhalten in Sachen Martin Gombik, und Emsermanns damit verbundenen Ausstieg, noch zu tief. Zudem stand beiden Gitarristen Ancasters Veto entgegen. Immerhin hatte insbesondere Ralph Veety ihn als Sänger nicht gewollt und so verhinderte persönlicher Groll eine frühe Formation des erfolgreichen Triumvirats Ancaster - Emsermann - Veety.
Letztlich führte die Gitarristenfrage zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Emsermann und Ancaster. Mitte Januar favorisierte der Sänger Markus Glock, auf dessen Schwester Eva er ein Auge geworfen hatte. Glock spielte in einer lokalen Gruppe namens Leaden Ecstasy und galt als talentierter Musiker. Was ihm fehlte, und was Emsermann sofort bemerkte und Stellung gegen ihn beziehen ließ, war der Umstand, dass der Gitarrist auf sein Abitur zusteuerte und seine berufliche Laufbahn über ein Studium plante. Er dachte nicht eine Sekunde darüber nach bei irgendwem professionell Gitarre zu spielen und sein Leben völlig der Musik zu widmen. Kein Mann für Emsermann also und als er von Ancasters heimlichen Verhandlungen mit Glock erfuhr, rastete er aus. Zu Recht warf er seinem Frontmann »unsportlichen Eigennutz« vor, zumal es Ancaster offensichtlich darum ging an die Frau heranzukommen. Ob Recht oder Unrecht, Emsermanns Jähzorn äußerte sich derart beleidigend, dass Ancaster ihm die Faust ins Gesicht schlug. Es kam zu einer heftigen Prügelei ohne Sieger oder zu zwei Siegern - je nach Sichtweise. Denn keine fünfzehn Minuten später versöhnten sie sich und fanden wie aus dem Nichts eine völlig neue Gesprächsebene zueinander, als hätte die Schlägerei eine bis dahin unbewusste Spannung zwischen ihnen gelöst. Das Thema Glock war vom Tisch.
Anfang März luden Peter und Bernd den bei der Nobi Köhnke Band spielenden Rhythmusgitarristen ►Fred Bertram zu einer Session in die Gaststätte Holtschmit ein.
Fred Bertram, geboren am 11. März 1957 in Hohenlimburg als Sohn eines Lehrerehepaares, wuchs mit seinen Schwestern, der älteren Ruth und der jüngeren Eva, in unmittelbarer Nachbarschaft Peter Ancasters, in der ursprünglichen Hausmeisterwohnung der Oeger Schule auf. Fred und Peter freundeten sich schon wenige Tage nachdem Ancasters Familie von Altena nach Hohenlimburg gezogen war miteinander an.
»Fred hatte einen Faible für Tiere und sammelte in Kisten Frösche, Salamander und Eidechsen«, wusste Peter zur Biographie Bertrams beizutragen. »Er schenkte mir einmal zwei Goldhamster, die sich drei Tage später beim Versuch vom Tisch zu klettern den Hals brachen«.
Die beiden erlebten eine Reihe selbst gemachter Abenteuer entlang der Lenne, bauten 'Buden' und erforschten die Oeger Höhlen, was Peter bei einer Expedition im Alter von zwölf Jahren beinahe das Leben gekostet hätte, als er in einem Gang recht tief unter der Erde stecken blieb.
Musikalisch bewegte sich Fred in progressiveren Regionen. Er stand auf →Genesis, →Pink Floyd und →Yes, vermochte aber diese Einflüsse nicht an Peter weiterzugeben. Auch sein Gitarrespiel und seine Mitgliedschaft in einer namenlosen Band blieben dem Freund verborgen. 1974 zog die Familie fort und die beiden verloren sich aus den Augen. Erst im Rockplast Hohenlimburg trafen sie 1981 wieder aufeinander. Zu dieser Zeit studierte Fred bereits Maschinenbau an der Fachhochschule Iserlohn.
Er war zu einem »Meister der Rhythmusgitarre« gewachsen, wie Peter während ihrer Jam im März 1983 feststellen konnte. Sie spielten eine Weile vor sich hin und probierten schließlich einige eigene Stücke. Auch Bernd war hingerissen. Den Gitarrenteppich, den Fred unter »Thor« legte, verlieh dem Song eine völlig neue Dimension. Dennoch beließ es Fred zunächst bei diesem einen Zusammenspiel.
Ende desselben Monats erwarben Peter, Bernd und Manfred eine gemeinsame P.A. Anlage, bestehend aus zwei 45/60 Bassboxen, zwei HH-Mittelhochtonboxen, einer Vos-Met 800 Watt Endstufe und einem RSD Studiomaster 16 in 2 Mischpult6. Die neue Ausrüstung verbesserte klangtechnisch die Proben der Band und machte sie für kleinere Veranstaltungen unabhängig von teuren Mietanlagen.
Peter hatte sich seinen Beitrag von seiner Großmutter geliehen und Manfred war, zähneknirschend und nicht ohne Emsermanns Nachdruck, an seine Ersparnisse gegangen. Bernds Obolus kam auf nie ganz geklärte Weise zustande.
Am Tag als sie stolz ihre kleine P.A. in der Gaststätte Holtschmit aufbauten, stellte auch Fred Bertram seine Anlage auf. Samain hatten sich zum Quintett erweitert. Und als sei ihnen das Schicksal hold, erhielt Peter tags darauf die Nachricht einen richtigen Übungsraum in Hagen (Eckesey) beziehen zu können.
Am 2. April räumte die Band die Bühne in Oestrich und zog nach Hagen in die als Lager einer KFZ Werkstatt7 genutzten Räume einer ehemaligen Metallwarenfabrik. Von nun an sollten sich die Ereignisse überschlagen.
Fußnoten:
1 Green: Milla Kapolke (bg, voc) - Dirk 'Sugar Lindemann (keys) - Fox (dr) - Michael Maus (gtr, mharp, voc) - Bubi Hönig (gtr)
GREEN entstand aus den ROARING SIXTIES, spielte zunächst ausschließlich Oldies und waren - wie zuvor die ROARING SIXTIES - auf Uni-Feten etc. Stimmungsgarant und unverzichtbar. Nahmen später eigene Kompositionen in ihr Programm auf. GREEN löste sich auf, als Milla Kapolke 1980 bei →GROBSCHNITT einstieg, wurde jedoch 1982 wieder reaktiviert. Quelle: Musikertreff Online [Anm.: Inzwischen offline].
2 ca. 1978–1982. Vornehmlich von Neal Kay (Soundhouse/Bandwagon Rock Disco) und Geoff “Deaf” Barton (Sounds Magazin) geprägter, als Gegenbewegung zum Punk Rock der späten 70er Jahre verstandener Begriff. Gefördert wurde die neue Generation der Heavy Metal Gruppen insbesondere durch Tommy Vance in seiner seit 1978 ausgestrahlten Friday Rock Show (1993 eingestellt). Zu den klassischen Vertretern der New Wave Of British Heavy Metal gehören Iron Maiden, Saxon, Def Leppard, →Angel Witch, →Praying Mantis, →Samson, →Tygers Of Pan Tang, →Holocaust oder →Diamond Head. Nicht dazu gehören Bands wie u.a. →Judas Priest oder →Motörhead, die bereits Anfang bis Mitte der 70er Jahre Alben veröffentlichten, allerdings durch die NWOBHM ihren Aufschwung erlebten.
3 Blunze, salopp österreichisch für Frau; typisches Emsermann-Vokabular.
4 Peter und Ralph schrieben ihren Roman witzigerweise aus der Sicht ihres Roadies Jeffrey Elias Craigg - dem Autoren der vorliegenden Biographie.
5 Die originale Niederschrift der ersten Textfassung zu »Thor«, vom Samstag den 29. Januar 1983, ist erhalten.
6 Das Equipment wurde später durch zwei 12" Midbins (JBL Midbin/Hochton), ein Multieffektgerät (Yamaha SPX 90) sowie Mikrophone unterschiedlicher Einsatzmöglichkeiten erweitert.
7 Werkstatt von Rainer Drüke und Detlef Wilke, die ihren Betrieb zuvor auf der Unternahmerstraße in Hohenlimburg, gegenüber der Taverne geführt hatten.
Die Schlappe mit ►Laissez Faire‼ war für ihn eine ernüchternde Rückkehr in die Musik gewesen. Aber inspiriert durch die New Wave Of British Heavy Metal2 mit neuen Bands wie →Iron Maiden, →Saxon oder →Def Leppard, war er überzeugt, keinen besseren Zeitpunkt für die Gründung einer eigenen Band erwischen zu können. Das Eintreffen seiner einstigen Laissez Faire Mitstreiter beendete seine Teilnahme an der Würfelrunde und zunächst auch seine ausgezeichnete Laune. War Peter Hennig sofort Feuer und Flamme, summierten sich in Manfred Bayer die Zweifel und Bedenken und steuerten einem klaren Nein entgegen.
Das Problem, Peters Problem, war damit konkret umrissen. Er kannte zu diesem Zeitpunkt keinen anderen freien Gitarristen, zu dem keinen von der Spielweise eines Manfred Bayer. Keineswegs war der Gitarrist ein Virtuose, er war gut, zweifelsohne, aber es gab bessere. Doch Bayer spielte sein Instrument mit einer bemerkenswert klanglichen Wärme, überzeugte durch Genauigkeit und vermochte die musikalischen Ideen seiner Mitspieler bzw. eines Komponisten zu reproduzieren.
»Er [Manfred Bayer] war einfach negativ«, berichtete Ancaster während der Recherche zu dieser Biographie. »Wenn überhaupt, meinte er, solle man es wie Manietta [Ex-►High Voltage‼ und Laissez Faire Gitarrist] machen, der mit ►Skin Deep‼ eine New Wave Band aus der Taufe gehoben hatte. Heavy Metal sei tot und überhaupt hätten wir keine Chance einen Proberaum zu finden und Geld für ein anständiges Equipment aufzutreiben. Darüber hinaus fehle uns ein guter Bassist, und ein solcher sei eh schwer aufzutreiben und so weiter und so weiter. Er war ätzend und machte mich mit der Zeit so wütend, dass ich ihm am liebsten eine rein gehauen hätte«.
Kurz davor das Gespräch frustriert und ergebnislos zu beenden, kam die Wende in Person ►Bernd Emsermanns [Bernard "Bernie" Eams]. Ohne die drei an dem großen runden Tische in der Ecke der Eingangstür zu bemerken, rannte er geradezu in die Kneipe, fand - da das Konzert im Saal begonnen hatte - sofort einen freien Stehplatz und bestellte, ungewöhnlich, ein großes Krefelder. Das Glas kaum in den Händen, trank er es in einem Zuge leer. Für einen allgemein bekannten notorischen Nichttrinker derart ungeheuerlich, dass selbst ►Norbert Höhne‼, an diesem Abend in der Kneipe eingeteilt, nur zögerlich und mit gerunzelter Stirn einen weiteren Krug hinstellte.
Die Situation, die schließlich zur Gründung einer Heavy Metal Band führte, war grotesk und sie verführt gerade dazu, sie bildhaft darzustellen. Aus den Berichten der Augenzeugen minuziös rekonstruiert, schilderten sie Peter Miñoza [Peter Ancaster] und ►Ralf Wiethoff [Ralph Veety] 1992 in ihrem unveröffentlichten Roman 'Ekrons Kinder':
Just in dem Moment, als ich ... aufsah, rauschte ein Schatten an mir vorbei. An der langen, dunkelbraunen Mähne und dem seltsamen Gang, den ein leichtes X in seinen Beinen verursachte, erkannte ich sofort, dass es sich um Bernd Emsermann handelte, den ich gut ein Jahr zuvor an gleicher Stelle kennen gelernt hatte. Damals zupfte er den Bass in einer Band namens ►The Skull‼, der auch Bayer und Henning angehörten. Wie stets trug er einen braunen Wollpullover und ein verwaschene schwarze Jeans, deren schlauchartige Beine in zwei riesigen Basketballstiefeln steckten.
Er schoss ohne uns wahrzunehmen zielstrebig auf den Tresen zu und bestellte mit laut schneidender Stimme ein großes Krefelder. Das war ungewöhnlich, denn Bernie trank normalerweise nicht. Ich wandte mich auf meinem Stuhl um und sah zu meiner äußersten Verwunderung, wie er sich das Getränk mit einem Zug in den Schlund stürzte. Ich tippte Peter an.
»Achte mal auf Emsermann, Alter«.
Zwei weitere Glasinhalte verschwanden im Rachen des Freundes. Somit musste er jetzt schon besoffen sein, denn er vertrug absolut nichts. Und das nur fünf oder zehn Minuten nach seiner Ankunft!
Immerhin konnte er dadurch eine Menge Schotter sparen, denn wofür Peter einen völlig bemalten Deckel brauchte, reichten bei Bernie bereits fünf Mark, um sich einen Rausch erster Güteklasse zu verschaffen.
Peter grinste mich an. »Wetten, da steht unser Bassmann und in Hagen fragen sich gerade drei nette Jungs unendlich frustriert, was bei ihnen wohl schief gelaufen sein könnte?«
»Ja, ich schätze das kommt hin«.
»Hast du Bock mit Emsermann was aufzureißen, Manni?«
»Kriegste den ... auf Rezept?«
Peter drehte Manfreds Kopf zur Zapfstelle. »Nein, der steht an der Theke«.
Peter wartete Manfreds Antwort nicht ab. Er erhob sich und gesellte sich zu Bernie, dessen Rausch bereits sichtbare Formen annahm.
»Euch werd ich’s allen zeigen!« schleuderte er Nobi entgegen, der ihm soeben das vierte Glas hinstellte. »Allen!«
Nobi blieb cool: »Halts Maul und sauf!«
Er tat’s. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und vermutete, dass da etwas gar Fürchterliches für ihn geschehen sein musste. Armer Peter, schoss es mir durch den Kopf, doch da brüllte Bernie ihn schon an.
»Du bist genau so einer!«
Peter zuckte zurück. »Reg dich ab, Mann! Du hast wohl ..«.
Bernie ballerte die Faust auf den Tresen. »Ich reg mich auf? Ich reg mich auf?« kreischte er beinahe hysterisch und schaute sich dabei um. Sein Blick fiel auf Manfred. Der versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Vergeblich.
»Noch so’n Nassauer! Ich bin genau richtig! Genau richtig! Die Birne sollte man euch runterhauen. Mit meinem Bass! Dem da«, er zeigte auf Manfred, »genau wie diesem Elbschwimmer ►[Martin] Gombik, diesem Mösenlecker!«
Bernie ächzte und ich glaubte, Schaum aus seinem Mund treten zu sehen. Peter blieb ruhig. Er nahm von Nobi ein Glas entgegen und drückte es Bernie in die Hand.
»Trink«!« Ein gewaltiger Schluck - und der Bembel war leer.
»Haben dich wohl mächtig in den Arsch getreten, deine Jungs, was?« fragte Peter lauernd.
Bernie grunzte. »Lass mich mit ►Bronx‼ zufrieden. Wegen ‘ner Blunze3! Gombik lässt die Band wegen ‘ner Blunze platzen! Und Veety und ►[Mike] Brand stehen schweigend daneben!«
Peter klopfte ihm besänftigend auf die Schulter. »Setz dich erstmal zu uns. Ich habe das Gefühl, es gibt ‘ne Menge zu quatschen..«.
Vier Stunden später schwankten wir zu dritt, abgefüllt wie Amtmänner ... in die Taverne. Die Inhaber des griechischen Restaurants im Hohenlimburger Stadtteil Nahmer, Kosmas und Wasili Louikidis, standen mit uns Rockpalastleuten auf gutem Fuß. Es kam das eine oder andere Mal vor, dass Kosmas eine Flasche Ouzo rüberwachsen ließ, wenn in den frühen Morgenstunden hinter verschlossenen Lokaltüren mehr Rambazamba stattfand, als in anderen Hohenlimburger Kneipen am ganzen Wochenende.
Hennig und Manfred hatten sich verdrückt. Aber für Bernie und Pete waren die beiden auch nicht mehr allzu wichtig, wenn ich sie richtig verstanden hatte. Ihr Projekt stand und die Aufgaben waren untereinander verteilt. Selbst ich, der ihren dünkelhaften Plänen mit Skepsis gegenüberstand, war als Roadmanager, kurz Roadie, fester Bestandteil ihres Vorhabens geworden. Obwohl ich neben ihnen am Tresen stand, hatte mich niemand gefragt, ob ich überhaupt Lust dazu hatte. Typisch!
Hennig und Bayer blieb die Rolle von Statisten ...4
*****
Dass die Neugründung einer Band keine Bierlaune sein darf, bewies Emsermann noch am selben Tag. Obwohl er sich erst gegen halb fünf Uhr morgens von Ancaster getrennt hatte und trotz seines Alkoholspiegels mit seinem Wagen heim nach Iserlohn gefahren war, stand er gegen elf bereits wieder auf der Matte und klingelte den Sänger aus dem Bett.
Proberaumsuche war angesagt und in den nächsten Tagen bis Weihnachten legten die beiden Bandgründer einige Kilometer im Raum Hagen und Iserlohn zurück. Ergebnis- aber nicht hoffnungslos.
Schon diese Fahrten, die stets ohne Bayer und Hennig stattfanden, belegten von Beginn an wer in der Band das Sagen besaß. Peter wusste welche Musik in Bernds Kopf herumspukte. Sie war genau seine Sache, und dahingehend überließ er dem Bassisten absolut freie Hand. Bernd hingegen honorierte das Peter gegenüber mit einer ernsten Loyalität. Er hatte einen guten Texter für seine Kompositionen gefunden und zum ersten Mal in seiner Laufbahn überließ ihm jemand die musikalische Gestaltung einer Gruppe [Anm.: Mit nur wenigen Einschränkunen galt as auch bei Bronx.]. Eine Chance, die Emsermann sich keinesfalls wieder nehmen lassen wollte, und trotz Ancasters zeitweiligen Aufbegehrens gegen seine Personalpolitik, machte Emsermann unmissverständlich klar, dass Bayer und Hennig lediglich Lücken füllten und zum entsprechenden Zeitpunkt durch bessere Musiker ausgetauscht werden würden.
In der Woche nach Weihnachten war Emsermann fündig geworden und präsentierte einen Proberaum in der Gaststätte Holtschmit in Letmathe-Oestrich. Eine vorübergehende Lösung zwar, die Band baute ihr Equipment auf der Bühne des Tanzsaales im oberen Stockwerk auf, aber sie konnten beginnen.
*****
Ihre Probenpremiere fand am Dienstag den 4. Januar 1983 statt und entlud sich in kreativem Schaffen. »Force Of The Silence« [►Lyrics] entstand und eine zweite Nummer, »Precious Metal« [►Lyrics] konnte halb fertig gestellt werden. Erstere flog wenige Monate später wieder aus dem Repertoire, die andere behielt die Band bis November im Programm. Am Donnerstag den 6. Januar setzten sie mit »Thor«5 [►Lyrics | ►Audio ♪ | ►Video ♫] den Grundstein für ihren Stil bis zum frühen Herbst 1984 und sie fanden ihren Namen: Samain.
Peter Ancaster erklärte die Namensfindung in einem 2005 auf ihrer offiziellen Internetseite [Anm.: Alte Homepage offline] veröffentlichten Kurztext:
SAMAIN kam nicht über historische Texte und Kalender zu ihrem Namen, sondern eher profan durch einen Kinofilm namens →Halloween II. ...
Obwohl insbesondere Peter Ancaster in dieser Epoche (1981–1984) ein ausgeprägtes Interesse an Mystik und Mythologie entwickelte, verlegten er und Bernard Eams ihre Namensuche in jenen Anfangstagen der Band eher auf Begriffe aus der englischen Literatur. "Minas Tirith" (aus J.R.R. Tolkien →'Der Herr der Ringe', 1966) war im Gespräch, "Strident Blare" (Schrilles Brüllen; aus William Golding '→The Lord Of The Flies', 1954) oder "Guildenstern" (ein Name aus William Shakespear →'Hamlet' um 1601). Nichts davon setzte sich durch oder fand eine Mehrheit.
Die Band probte bereits seit Anfang Januar 1983, war jedoch noch immer namenlos. Eigentlich etwas belangloses, doch für die Bandgründer Ancaster und Emsermann ein unerträglicher Zustand.
Am Donnerstag den 6. Januar traf sich die Gruppe im ►Rockpalast Hohenlimburg‼ um »einige grundlegende Dinge zu klären«. Eines der Themen jedenfalls war die endgültige Namengebung. Aber die Stimmung war schlecht und Emsermann übel gelaunt. Um die Lage nicht eskalieren und aus einem Gesprächsabend eine Kontroverse werden zu lassen, wurde einstimmig der Entschluss gefasst, sich gemeinsam »diesen Schinken« anzusehen.
Der Film war, wie erwartet, grässlich. Bis auf eine einzige, für die Band entscheidende Szene: Als der wahnsinnige Mörder Michael Meyers mit dem Blut eines Opfers den Namen SAMHAIN an eine Mauer schmierte. Das Wort ergriff alle Bandmitglieder gleichzeitig. Jede weitere Diskussion war vom Tisch.
Man ließ das »h« in der Wortmitte aus graphischen Gründen weg. Dass es eine altirische Schreibweise ohne »h« gab, ahnte damals keiner von ihnen. Ebenso wenig wie irgendwer etwas über die Bedeutung des Wortes wusste. (Damit beschäftigte sich Peter Ancaster erst ab 1984) Doch zu diesem Zeitpunkt war es auch nicht wichtig. Die Band hatte einen Namen. SAMAIN waren endgültig geboren.
In seinem Tagebuch 1984 vermerkte Peter Ancaster:
»Samain geht auf keltisch (genauer auf goidelisch, einer mit dem Britannischen verwandten keltischen Sprache) zurück: samoni[os], altirisch samfhuin, samuin und samain, irisch samhain, gaelisch samhuinn. Es war die Nacht des keltischen Jahreswechsels, der nach unserem Kalender vom 31. Oktober auf den 1. November gefeiert wurde.
In spiritueller Hinsicht bedeutete samuin den Kelten 'Vereinigung', denn in dieser Nacht vereinten sich ihre Götter und die Geister der Toten mit den Lebenden. Die Grenzen zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, der 'Anderwelt', verschwommen und öffneten sich. Es war ein Fest der Stille und der Dunkelheit. Feuer und Lichter wurden bei Abenddämmerung gelöscht, Speisen und Getränke, in den Tagesstunden zubereitet, nicht nur den Lebenden dargeboten, sondern auch den Geistern. Indes war es auch ein Fest der sexuellen Vereinigung zwischen Mann und Frau, zwischen Liebenden.
Etymologisch hingegen bedeutet der Name 'Ende des Sommers', keltisch sam(hradh), samos, 'Sommer', irisch samhain, keltisch samon(ios), 'Sommerende'.
→Papst Greogor IV. (?. Oktober 827 – 25. Januar 844) wandelte das keltische Samuin in →Allerheiligen um und führte es 837 als christlichen Feiertag in Frankreich ein. In England heißt es seit dem 16. Jahrhundert →Halloween. Noch heute indes ist Samhain, der 1. November, Feiertag in Irland.
Und dass Sam[h]ain Monats- und Festbezeichnung im →keltischen Jahr waren, bestätigt ein Fund aus dem Jahre 1897. In Coligny (Frankreich), in den Ruinen eines Apollotempels, entdeckten Archäologen die 73 Fragmente eines in Bronze gefertigten keltischen Kalenders*. Die ursprüngliche Tafel, datiert auf den Beginn des 2. Jahrhunderts, maß etwa 1,5 Meter in der Breite und 1 Meter in der Höhe.
[*Der Kalender von Coligny gleicht gegenwärtigen, vornehmlich esoterischen Kalendern in keiner Weise. Einen allgemeingültigen (einheitlichen) keltischen Kalender gab es nicht und die Kalendertafel von Coligny fand ihre Anwendung ausschließlich in Gallien.]«
*****
Mit der zweiten Probe jenes schicksalhaften Tages, stellte sich jedoch auch die Frage nach einem zweiten Gitarristen. Obwohl Bernd schon zu dieser Zeit Ralph Veety oder Mike Brand und manchmal beide ins Gespräch brachte, mochte er weder bei dem einen noch dem anderen vorstellig werden. Zum einen schien es als könnten sie in neuer Besetzung Bronx noch einmal auf Kurs bringen, zum anderen steckte der Ärger über deren Verhalten in Sachen Martin Gombik, und Emsermanns damit verbundenen Ausstieg, noch zu tief. Zudem stand beiden Gitarristen Ancasters Veto entgegen. Immerhin hatte insbesondere Ralph Veety ihn als Sänger nicht gewollt und so verhinderte persönlicher Groll eine frühe Formation des erfolgreichen Triumvirats Ancaster - Emsermann - Veety.
Letztlich führte die Gitarristenfrage zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Emsermann und Ancaster. Mitte Januar favorisierte der Sänger Markus Glock, auf dessen Schwester Eva er ein Auge geworfen hatte. Glock spielte in einer lokalen Gruppe namens Leaden Ecstasy und galt als talentierter Musiker. Was ihm fehlte, und was Emsermann sofort bemerkte und Stellung gegen ihn beziehen ließ, war der Umstand, dass der Gitarrist auf sein Abitur zusteuerte und seine berufliche Laufbahn über ein Studium plante. Er dachte nicht eine Sekunde darüber nach bei irgendwem professionell Gitarre zu spielen und sein Leben völlig der Musik zu widmen. Kein Mann für Emsermann also und als er von Ancasters heimlichen Verhandlungen mit Glock erfuhr, rastete er aus. Zu Recht warf er seinem Frontmann »unsportlichen Eigennutz« vor, zumal es Ancaster offensichtlich darum ging an die Frau heranzukommen. Ob Recht oder Unrecht, Emsermanns Jähzorn äußerte sich derart beleidigend, dass Ancaster ihm die Faust ins Gesicht schlug. Es kam zu einer heftigen Prügelei ohne Sieger oder zu zwei Siegern - je nach Sichtweise. Denn keine fünfzehn Minuten später versöhnten sie sich und fanden wie aus dem Nichts eine völlig neue Gesprächsebene zueinander, als hätte die Schlägerei eine bis dahin unbewusste Spannung zwischen ihnen gelöst. Das Thema Glock war vom Tisch.
Anfang März luden Peter und Bernd den bei der Nobi Köhnke Band spielenden Rhythmusgitarristen ►Fred Bertram zu einer Session in die Gaststätte Holtschmit ein.
Fred Bertram, geboren am 11. März 1957 in Hohenlimburg als Sohn eines Lehrerehepaares, wuchs mit seinen Schwestern, der älteren Ruth und der jüngeren Eva, in unmittelbarer Nachbarschaft Peter Ancasters, in der ursprünglichen Hausmeisterwohnung der Oeger Schule auf. Fred und Peter freundeten sich schon wenige Tage nachdem Ancasters Familie von Altena nach Hohenlimburg gezogen war miteinander an.
»Fred hatte einen Faible für Tiere und sammelte in Kisten Frösche, Salamander und Eidechsen«, wusste Peter zur Biographie Bertrams beizutragen. »Er schenkte mir einmal zwei Goldhamster, die sich drei Tage später beim Versuch vom Tisch zu klettern den Hals brachen«.
Die beiden erlebten eine Reihe selbst gemachter Abenteuer entlang der Lenne, bauten 'Buden' und erforschten die Oeger Höhlen, was Peter bei einer Expedition im Alter von zwölf Jahren beinahe das Leben gekostet hätte, als er in einem Gang recht tief unter der Erde stecken blieb.
Musikalisch bewegte sich Fred in progressiveren Regionen. Er stand auf →Genesis, →Pink Floyd und →Yes, vermochte aber diese Einflüsse nicht an Peter weiterzugeben. Auch sein Gitarrespiel und seine Mitgliedschaft in einer namenlosen Band blieben dem Freund verborgen. 1974 zog die Familie fort und die beiden verloren sich aus den Augen. Erst im Rockplast Hohenlimburg trafen sie 1981 wieder aufeinander. Zu dieser Zeit studierte Fred bereits Maschinenbau an der Fachhochschule Iserlohn.
Er war zu einem »Meister der Rhythmusgitarre« gewachsen, wie Peter während ihrer Jam im März 1983 feststellen konnte. Sie spielten eine Weile vor sich hin und probierten schließlich einige eigene Stücke. Auch Bernd war hingerissen. Den Gitarrenteppich, den Fred unter »Thor« legte, verlieh dem Song eine völlig neue Dimension. Dennoch beließ es Fred zunächst bei diesem einen Zusammenspiel.
Ende desselben Monats erwarben Peter, Bernd und Manfred eine gemeinsame P.A. Anlage, bestehend aus zwei 45/60 Bassboxen, zwei HH-Mittelhochtonboxen, einer Vos-Met 800 Watt Endstufe und einem RSD Studiomaster 16 in 2 Mischpult6. Die neue Ausrüstung verbesserte klangtechnisch die Proben der Band und machte sie für kleinere Veranstaltungen unabhängig von teuren Mietanlagen.
Peter hatte sich seinen Beitrag von seiner Großmutter geliehen und Manfred war, zähneknirschend und nicht ohne Emsermanns Nachdruck, an seine Ersparnisse gegangen. Bernds Obolus kam auf nie ganz geklärte Weise zustande.
Am Tag als sie stolz ihre kleine P.A. in der Gaststätte Holtschmit aufbauten, stellte auch Fred Bertram seine Anlage auf. Samain hatten sich zum Quintett erweitert. Und als sei ihnen das Schicksal hold, erhielt Peter tags darauf die Nachricht einen richtigen Übungsraum in Hagen (Eckesey) beziehen zu können.
Am 2. April räumte die Band die Bühne in Oestrich und zog nach Hagen in die als Lager einer KFZ Werkstatt7 genutzten Räume einer ehemaligen Metallwarenfabrik. Von nun an sollten sich die Ereignisse überschlagen.
Fußnoten:
1 Green: Milla Kapolke (bg, voc) - Dirk 'Sugar Lindemann (keys) - Fox (dr) - Michael Maus (gtr, mharp, voc) - Bubi Hönig (gtr)
GREEN entstand aus den ROARING SIXTIES, spielte zunächst ausschließlich Oldies und waren - wie zuvor die ROARING SIXTIES - auf Uni-Feten etc. Stimmungsgarant und unverzichtbar. Nahmen später eigene Kompositionen in ihr Programm auf. GREEN löste sich auf, als Milla Kapolke 1980 bei →GROBSCHNITT einstieg, wurde jedoch 1982 wieder reaktiviert. Quelle: Musikertreff Online [Anm.: Inzwischen offline].
2 ca. 1978–1982. Vornehmlich von Neal Kay (Soundhouse/Bandwagon Rock Disco) und Geoff “Deaf” Barton (Sounds Magazin) geprägter, als Gegenbewegung zum Punk Rock der späten 70er Jahre verstandener Begriff. Gefördert wurde die neue Generation der Heavy Metal Gruppen insbesondere durch Tommy Vance in seiner seit 1978 ausgestrahlten Friday Rock Show (1993 eingestellt). Zu den klassischen Vertretern der New Wave Of British Heavy Metal gehören Iron Maiden, Saxon, Def Leppard, →Angel Witch, →Praying Mantis, →Samson, →Tygers Of Pan Tang, →Holocaust oder →Diamond Head. Nicht dazu gehören Bands wie u.a. →Judas Priest oder →Motörhead, die bereits Anfang bis Mitte der 70er Jahre Alben veröffentlichten, allerdings durch die NWOBHM ihren Aufschwung erlebten.
3 Blunze, salopp österreichisch für Frau; typisches Emsermann-Vokabular.
4 Peter und Ralph schrieben ihren Roman witzigerweise aus der Sicht ihres Roadies Jeffrey Elias Craigg - dem Autoren der vorliegenden Biographie.
5 Die originale Niederschrift der ersten Textfassung zu »Thor«, vom Samstag den 29. Januar 1983, ist erhalten.
6 Das Equipment wurde später durch zwei 12" Midbins (JBL Midbin/Hochton), ein Multieffektgerät (Yamaha SPX 90) sowie Mikrophone unterschiedlicher Einsatzmöglichkeiten erweitert.
7 Werkstatt von Rainer Drüke und Detlef Wilke, die ihren Betrieb zuvor auf der Unternahmerstraße in Hohenlimburg, gegenüber der Taverne geführt hatten.