History • Teil 2 • Samain II & IIa • Anfang mit Hindernissen • April 1983 - Oktober 1983
© Craigg, Miñoza, Wiethoff • Auszüge aus "Vicious Circles", Jeffrey Elias Craigg
► = interner Link / → = externer Link / ♪ = Audio / ♫ = Video / ►xxx‼ = interner Link folgt
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"Das Leben ist eine Nuss. Sie lässt sich zwischen zwei weichen Kissen nicht knacken."
(Henry Miller, amerikanischer Schriftsteller, 1891–1980)
Mit sichtlichem Wohlwollen registrierte ►Bernd Emsermann die Annäherung ►Ancasters und ►Veetys. Die ersten Proben in dem neuen und derweil hergerichteten Raum in →Hagen waren vollzogen, hatten die Kreativität zu weiteren Songs inspiriert und Bernd auf einen obskuren Gedanken gebracht: Er plante, vordergründig, gemeinsam mit Ralph Veety und ►Martin Gombik ein eigenes Vorprogramm für künftige Samain-Gigs auf die Beine zu stellen. Dahinter allerdings steckte eine filigrane Tücke. Zum einen galt es den Sänger davon zu überzeugen ►Manfred Bayer und ►Peter Hennig endlich auszutauschen - und nichts konnte dessen Sinneswandel besser bewerkstelligen, als die eigenen Songs mit Veety und Gombik gespielt zu hören - und er hegte die geheime Hoffnung den einstigen ►Bronx‼ Schlagzeuger 'umzudrehen', ihn, sozusagen, auf den rechten Weg zurückzuführen.
Und Emsermann machte Schönwetter. Er heuchelte Verständnis für Martins damaliges Dilemma, hätte seinen ersten Gig auch nicht ohne die Freundin spielen wollen und wäre möglicherweise ebenfalls nicht zum Soundcheck erschienen und letztlich sei ja alles reibungslos verlaufen. Er habe schließlich völlig überreagiert und sei darüber gewachsen und reifer geworden. Derlei Gefasel halt ... auf das Gombik ohne Emsermanns Selbstbekehrung in Frage zu stellen, hereinfiel. Was der Schlagzeuger für Läuterung hielt, betrachtete der ausgefuchste Bassmann als legitime Schaukelpolitik.
»Ich fand es widerlich«, gestand Peter Ancaster während der Recherche zu diesem Buch. »Er biederte sich dem ahnungslosen Jungen an, tischte ihm Nonsens und Galimathias auf und rechtfertigte sein Vorgehen als einen kunstfertigen Eingriff in das zukünftige Wohl eines ansonsten für die Musikwelt verlorenen Sohnes. Jemand wie dieses Rappeläffchen Gombik, ließ er des Öfteren verlauten, muss auf Felle dreschen; und bei Samain kann er das sogar mit Erfolgsgarantie«.
Martin Gombik zum wahren Glauben zu bekehren, war eine Sache. Eine ganz andere stellte Ancasters Loyalität zu Hennig dar, denn der Sänger befand sich seit einigen Monaten in einer festeren Beziehung zu dessen Schwester Elke.
Doch Emsermanns Sorgen erübrigten sich Mitte April ohne sein Zutun. Einmal mehr über den Durst hinaus betrunken, war es zwischen dem Sänger und seiner »Maîtresse Fatale« (Emsermann, Originalton) zu einem heftigen Streit gekommen. Nachdem Elke ihm eine gescheuert hatte, war es aus. Seine Sachen schickte sie ihm via Überbringer (Hennig) in einer Plastiktüte. Während Ancaster den Inhalt enttäuscht und niedergeschlagen an eine Wand des Übungsraumes klatschte, nahm es Emsermann mit Genugtuung. Ancaster stand seinen dünkelhaften Austauschplänen zumindest in dieser Hinsicht nicht mehr im Wege.
Im Mai 1983 nahmen Emsermann, Veety und Gombik als ►H.M.‼ ihre ersten Stücke in Angriff2. Ursprünglich an anderen Tagen als Samain angesetzt, verlegte Emsermann die Übungsstunden zu vorgezogener Zeit auf dieselben Tage. Der eine Grund war pragmatischer Natur. Samain hatten ein Angebot des ►Rockpalastes [Hohenlimburg] angenommen, das diesjährige Sommer Rock Festival zu eröffnen. Kaum jedoch war der Gig abgemachte Sache, verletzte sich Peter Hennig bei einem Arbeitsunfall mit einer Schleifhexe derart schwer, dass er bis etwa Mitte Juli als Schlagzeuger ausfiel. Martin Gombik, von Emsermanns scheinbarer Gunst geblendet und, seit neuestem, in ungetrübter Eintracht wie ein bester alter Freund behandelt, hatte sich unwillkürlich als Ersatzmann verfügbar gemacht. Um folglich Martins Zuneigung einerseits und die Laune seiner Freundin Roswitha andererseits zu erhalten - zusätzliche Probezeiten wollte Martins Freundin tatsächlich nicht gewähren - probten die 'beiden' Bands zeitlich nacheinander.
Der andere Grund beruhte auf Emsermanns Intention, seinen Sänger häppchenweise zu impfen. Und er wagte es schließlich, zunächst weder von Veety noch von Gombik wahrgenommen, mit H.M. die Kompositionen von Samain einzustudieren. Während ihrer vierten Probe griff Emsermann Samains bis dahin vielleicht besten Song auf: ►»Thor« ♪. Und so kam Ancaster in den Genuss den Titel, wenn auch instrumental, in einer nie zuvor gekannten Wucht zu erleben.
»Allmählich begreife ich Emsermanns Vision von Sound und Spielanlage der Gruppe«, schrieb er in sein Bandtagebuch. »Ralph und Martin heben unsere Musik auf eine andere Ebene. Und doch, obwohl mir deutlich bewusst ist, mit Manni und Peter und ihrer unprofessionellen Einstellung keinen Blumentopf gewinnen zu können, scheue ich mich davor, sie einfach vor die Tür zu setzen. Emsermann setzt mich unter Druck. Ich werde mich entscheiden müssen; und wollen wir erfolgreich sein, wird wohl kein Weg daran vorbeiführen sich von den beiden zu trennen«.3
Sie unterhielten sich jetzt häufiger um eine Umformierung der Band und bezogen auch ►Fred Bertram in ihre Überlegungen mit ein. Während Fred sich gänzlich dagegen aussprach, willigte Peter ein, zumindest den Schlagzeuger auszuwechseln. Denn trotz seiner sich entwickelnden Freundschaft zu Ralph Veety, blieben Vorbehalte.
»Ich konnte Emsermann nicht einschätzen. Überhaupt nicht. Zwar war die Gründungsformation bisher unverändert, doch seine personellen Vorstellungen schwebten wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Ich wusste nicht was er hinsichtlich meiner Position ausbrütete. Oder anders, ich traute ihm nicht; und die Möglichkeit mich schließlich ebenfalls auszutauschen, hatte er Veety, ►[Mike] Brand und vielleicht sogar Gombik erst einmal an Bord, war nicht auszuschließen«.
Was die Gitarristenfrage betraf, wurde die Band dann zunächst aller Spekulationen entledigt. Ralph Veety selbst machte Emsermann einen Strich durch die Rechnung. Als er die Tendenz des Bassisten realisierte, aus H.M. Samain werden zu lassen, zog er die Notbremse, suchte das Weite und ließ einen tobenden Emsermann zurück.
Ralphs Gedanken finden sich in einer Unterhaltung mit dem Autor, wiedergegeben in einer späteren Version seines gemeinschaftlichen Werkes mit Peter Ancaster:
Nach der vierten H.M. Probe endeten Ralph und ich im Bürgerkrug, einer Kneipe am Hagener Hauptbahnhof, die bis in die frühen Morgenstunden ihre Pforten geöffnet hielt. Ralph steuerte den Laden gewohnheitsmäßig an, denn hier landete er regelmäßig, wenn er auf Taxe oder Mietwagen Nachtschicht schob, und die geneigten Fahrgäste lieber daheim in ihren Betten pennten, als sich durch die Gegend kutschieren zu lassen.
Nachdem er seinen Kaffee und ich mein Pils hatte, fixierte er mich ein paar Sekunden lang.
»Sag mal, Jeff, was hältst du eigentlich von dem Projekt?« Ralphs Blicke schienen mich nun wie Laserstrahlen zu durchbohren. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich gar nichts sagen brauchte, weil er sowieso alles direkt aus meinem Hirn lesen konnte. Das war eine Eigenheit Veetys, die mir von jeher unheimlich vorkam und mir, neben schweißnassen Händen, reichlich Unbehagen bereitete. Ich nahm einen Mutschluck aus der Pilstulpe.
»Was?«
»Tu nicht so ahnungslos! H.M. natürlich. Als wenn du nicht wüsstest, wovon ich rede«.
Er hatte Recht. Natürlich wusste ich das. Inzwischen konnte ich die Sprachbarriere nicht mehr als schlagendes Argument ins Feld führen. In diesem Falle schade.
»Geht mächtig ab«.
»Yeah! Zu mächtig für meinen Geschmack«.
»Hm, wie meinst du das?« Oh, Scheiße! Vorsicht! War das ‘ne Falltür-Frage?
»Spiel jetzt nicht den Unwissenden«.
Das klang ungeduldig. Ich zuckte mit den Schultern. »Und?«
»Du Arschloch, meinst du denn, ich wäre blind? Du müsstest mal dein Gesicht sehen, wenn wir spielen. Oder, noch besser, sieh dir Bernie an. Sein breites, genüssliches Grinsen ist beredter als tausend Worte«.
Stimmt! Das war mir auch aufgefallen. Überhaupt hatte ich - besonders nach der heutigen H.M. Probe - den Eindruck, als würde sich Bernies Arbeitseifer mehr auf H.M. konzentrieren, als auf SAMAIN.
»Ja..., was soll ich sagen?« Was Blöderes fiel mir nicht ein.
»Jeff, ich schmeiß H.M. hin. Wenn du mich fragst, und ich weiß, dass du das nicht tun wirst und deswegen sage ich es dir jetzt, das Projekt wird SAMAIN aushöhlen und zerstören. Hast du Bernies irren Blick gesehen, als wir Thor spielten? Nein! Es darf keine H.M. Probe mehr geben«.
»Dann wird Bernie aber reichlich sauer sein«, warf ich ein.
»Dann ist er eben sauer, wenn ich ungefragt das Handtuch werfe. Scheißegal, glaub mir, es ist das Beste für SAMAIN. Der Zeitpunkt ist günstig. Martin muss das Repertoire einüben, da bleibt für H.M. bis zum Gig eh keine Zeit mehr.«
Er machte eine Pause, in der er den brüllend heißen Kaffee mit einem Zug seine Kehle hinunterlaufen ließ, ohne eine Miene zu verziehen. Andere, so wie ich, saufen so ihr Bier. Dann lehnte er sich wieder zurück und musterte mich wieder mit diesem unheimlichen Veety-Blick.
»Nun?« Ralph wartete auf mein Statement. Bullshit!
»Und wie stellst du dir das vor? Wenn du Bernie das sagst, rastet der aus. Ich will mir erst gar nicht vorstellen, was das für Auswirkungen auf den Gig haben kann«.
»Mach dir mal deswegen keine Sorgen, Jeff. Meinst du denn, ich bin so blöd und sage ihm das jetzt? SAMAIN ist eine Weile beschäftigt. Für H.M. bleibt keine Zeit. Ergo komme ich nicht. Also keine dummen Fragen, wenn du mich erst auf’m Gig wieder siehst«. 4
*****
Ihren ersten öffentlichen Auftritt spielten Samain am 24. Juni 1983 im Rockpalast Hohenlimburg in der Besetzung Peter Ancaster (voc), Manfred Bayer (gtr), Fred Bertram (gtr), Bernd Emsermann (bg) und Martin Gombik (dr). Es war ein guter, ansprechender Gig, jedoch ohne die Energie ihrer späteren Konzerte.
Bernds Wunsch, im Anschluss an ihr Debüt mit Martin weiterzumachen und Peter Hennig den Laufpass zu geben, erfüllte sich allerdings nicht. Schon nachdem sie die Bühne verlassen hatten, offenbarte Gombik sich vorläufig und gänzlich der Motorradsaison hinzugeben und ausgiebige Fahrten mit seiner Roswitha zu unternehmen. Stante pede brachen zwischen ihm und dem Bassisten die alten Querelen wieder aus. Der Schlagzeuger verabschiedete sich und ein grollender Emsermann bedrängte seine Mitspieler Ancaster, Bertram und Bayer - letzterem unter Androhung von Schlägen, sollte dieser auch nur ein Sterbenswörtchen in Richtung Hennig verlauten lassen - in den nächsten Tagen andere Schlagzeuger auszuprobieren. Da Hennig noch nicht wieder einsatzbereit war, ließen sich in den kommenden drei Wochen problemlos mehrere Kandidaten zum Vorspielen einladen. Keiner vermochte Emsermann zu überzeugen und er entschloss sich zähneknirschend zunächst alles beim Alten zu belassen.
Im Juli erlitt Martin Gombik unverschuldet einen bösen Motorradunfall. Obwohl er sich von seinen Verletzungen erholte und weitgehend gesundete, war seine Laufbahn als Trommler für viele Jahre vorbei. Norbert Höhne verschwand spurlos, der Rockpalast drohte zu schließen und allein das Engagement Andreas Königs, unterstützt von seiner späteren Frau Gabi und seinem Schwager in spe, Peter Ancaster, konnte der Szenetreffpunkt vorerst gerettet werden. Nach einer kurzen Auszeit im August, konnte am 2. September mit der →Pee Wee Bluesgang die Wiedereröffnung gefeiert werden. Andreas König, als neuer Inhaber, setzte Peter Ancaster als Manager ein.
Ralph Veety, den Sommer über wieder mit dem Hitfestival auf Tournee, suchte schließlich die Aussöhnung mit Emsermann. Bernd, von Natur aus nicht nachtragend, winkte lediglich ab und flüsterte Ralf zu, seine Stunde für Samain würde bald schlagen. Und die Uhr tickte.
Noch in Gründungsformation, Peter Ancaster (voc), Manfred Bayer (gtr), Bernd Emsermann (bg), Peter Hennig (dr) und Fred Bertram (gtr), traten Samain am 22. Oktober zu einem Heavy Metal Festival Hagen gemeinsam mit Burning Hate und Evil an. Ein Auftreten wie es schlechter nicht hätte sein können.
Es begann damit, dass Bayer nicht zum Soundcheck erschien und Peter telefonisch mitteilte, er schulde Emsermann Geld, was er ihm derzeit nicht zurückzahlen könne. Um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, hielte er es für besser, dem Bassisten nicht über den Weg zu laufen. Die Konfrontation sollte er dennoch bekommen und zwar umgehend. Emsermann schäumte vor Wut. Er sprang in sein Auto und flog geradezu nach →Iserlohn, um den 'Flüchtigen' abzuholen. Einen Gig platzen lassen war für ihn eine Todsünde.
So musste Bayer dann doch auf die Bühne. Zu seinem Unglück verzog sich gleich im dritten Stück die Gitarre, und beim Versuch sie zu stimmen riss ihm eine Saite. Nervös und eingeschüchtert gelang es ihm weder eine neue aufzuziehen noch das Instrument zu justieren. Ralph Veety, der das Konzert mit seinem alten Jugendfreund Peter Fahl aufzuzeichnen gedachte, sprang in die Bresche und auf die Bühne, wechselte die Saite und stimmte die Gitarre. Peter Hennig war bereits stark angetrunken hinter seine Trommeln geklettert und trank während des Sets munter weiter. Song für Song verschlechterte sich sein Spiel, geriet aus dem Timing oder er trommelte Passagen aus gänzlich anderen Stücken. Peter Ancaster schließlich erlebte bei »Thor« einen Black Out. Von jetzt auf gleich vergaß er Einsatz und Text, brauchte etliche Takte bis er wieder in die Nummer fand. Emsermann war einem Herzinfarkt nahe. Nicht nur, dass unten im Publikum Ralph Veety stand, aufnahm, von Evil gefragt wurde, ob er bei ihnen einsteigen wolle und tatsächlich darauf wartete in diese Band einzusteigen, dass die Musiker anderer Bands ein Debakel peinlichsten Ausmaßes geboten bekamen, nein, er hatte auch einen Schlagzeuger, den designierten Nachfolger Hennigs eingeladen. Und der fragte sich in Anbetracht einer derartig grausigen Darbietung, warum er seine gut laufende Band verlassen und sich einer solchen Katastrophencombo anschließen sollte?
{ 1 Ralph Veety & Peter Ancaster, 'Ekrons Kinder', überarbeitetes Manuskript 1996, unveröffentlicht }
2 Darunter das später von Samain adaptierte ►»Malodorous & Lonely« ♪
3 Peter Ancaster, »Tagebuch 1983«
4 Ralph Veety & Peter Ancaster, 'Ekrons Kinder', überarbeitetes Manuskript 1996, unveröffentlicht
Und Emsermann machte Schönwetter. Er heuchelte Verständnis für Martins damaliges Dilemma, hätte seinen ersten Gig auch nicht ohne die Freundin spielen wollen und wäre möglicherweise ebenfalls nicht zum Soundcheck erschienen und letztlich sei ja alles reibungslos verlaufen. Er habe schließlich völlig überreagiert und sei darüber gewachsen und reifer geworden. Derlei Gefasel halt ... auf das Gombik ohne Emsermanns Selbstbekehrung in Frage zu stellen, hereinfiel. Was der Schlagzeuger für Läuterung hielt, betrachtete der ausgefuchste Bassmann als legitime Schaukelpolitik.
»Ich fand es widerlich«, gestand Peter Ancaster während der Recherche zu diesem Buch. »Er biederte sich dem ahnungslosen Jungen an, tischte ihm Nonsens und Galimathias auf und rechtfertigte sein Vorgehen als einen kunstfertigen Eingriff in das zukünftige Wohl eines ansonsten für die Musikwelt verlorenen Sohnes. Jemand wie dieses Rappeläffchen Gombik, ließ er des Öfteren verlauten, muss auf Felle dreschen; und bei Samain kann er das sogar mit Erfolgsgarantie«.
Martin Gombik zum wahren Glauben zu bekehren, war eine Sache. Eine ganz andere stellte Ancasters Loyalität zu Hennig dar, denn der Sänger befand sich seit einigen Monaten in einer festeren Beziehung zu dessen Schwester Elke.
Doch Emsermanns Sorgen erübrigten sich Mitte April ohne sein Zutun. Einmal mehr über den Durst hinaus betrunken, war es zwischen dem Sänger und seiner »Maîtresse Fatale« (Emsermann, Originalton) zu einem heftigen Streit gekommen. Nachdem Elke ihm eine gescheuert hatte, war es aus. Seine Sachen schickte sie ihm via Überbringer (Hennig) in einer Plastiktüte. Während Ancaster den Inhalt enttäuscht und niedergeschlagen an eine Wand des Übungsraumes klatschte, nahm es Emsermann mit Genugtuung. Ancaster stand seinen dünkelhaften Austauschplänen zumindest in dieser Hinsicht nicht mehr im Wege.
Im Mai 1983 nahmen Emsermann, Veety und Gombik als ►H.M.‼ ihre ersten Stücke in Angriff2. Ursprünglich an anderen Tagen als Samain angesetzt, verlegte Emsermann die Übungsstunden zu vorgezogener Zeit auf dieselben Tage. Der eine Grund war pragmatischer Natur. Samain hatten ein Angebot des ►Rockpalastes [Hohenlimburg] angenommen, das diesjährige Sommer Rock Festival zu eröffnen. Kaum jedoch war der Gig abgemachte Sache, verletzte sich Peter Hennig bei einem Arbeitsunfall mit einer Schleifhexe derart schwer, dass er bis etwa Mitte Juli als Schlagzeuger ausfiel. Martin Gombik, von Emsermanns scheinbarer Gunst geblendet und, seit neuestem, in ungetrübter Eintracht wie ein bester alter Freund behandelt, hatte sich unwillkürlich als Ersatzmann verfügbar gemacht. Um folglich Martins Zuneigung einerseits und die Laune seiner Freundin Roswitha andererseits zu erhalten - zusätzliche Probezeiten wollte Martins Freundin tatsächlich nicht gewähren - probten die 'beiden' Bands zeitlich nacheinander.
Der andere Grund beruhte auf Emsermanns Intention, seinen Sänger häppchenweise zu impfen. Und er wagte es schließlich, zunächst weder von Veety noch von Gombik wahrgenommen, mit H.M. die Kompositionen von Samain einzustudieren. Während ihrer vierten Probe griff Emsermann Samains bis dahin vielleicht besten Song auf: ►»Thor« ♪. Und so kam Ancaster in den Genuss den Titel, wenn auch instrumental, in einer nie zuvor gekannten Wucht zu erleben.
»Allmählich begreife ich Emsermanns Vision von Sound und Spielanlage der Gruppe«, schrieb er in sein Bandtagebuch. »Ralph und Martin heben unsere Musik auf eine andere Ebene. Und doch, obwohl mir deutlich bewusst ist, mit Manni und Peter und ihrer unprofessionellen Einstellung keinen Blumentopf gewinnen zu können, scheue ich mich davor, sie einfach vor die Tür zu setzen. Emsermann setzt mich unter Druck. Ich werde mich entscheiden müssen; und wollen wir erfolgreich sein, wird wohl kein Weg daran vorbeiführen sich von den beiden zu trennen«.3
Sie unterhielten sich jetzt häufiger um eine Umformierung der Band und bezogen auch ►Fred Bertram in ihre Überlegungen mit ein. Während Fred sich gänzlich dagegen aussprach, willigte Peter ein, zumindest den Schlagzeuger auszuwechseln. Denn trotz seiner sich entwickelnden Freundschaft zu Ralph Veety, blieben Vorbehalte.
»Ich konnte Emsermann nicht einschätzen. Überhaupt nicht. Zwar war die Gründungsformation bisher unverändert, doch seine personellen Vorstellungen schwebten wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Ich wusste nicht was er hinsichtlich meiner Position ausbrütete. Oder anders, ich traute ihm nicht; und die Möglichkeit mich schließlich ebenfalls auszutauschen, hatte er Veety, ►[Mike] Brand und vielleicht sogar Gombik erst einmal an Bord, war nicht auszuschließen«.
Was die Gitarristenfrage betraf, wurde die Band dann zunächst aller Spekulationen entledigt. Ralph Veety selbst machte Emsermann einen Strich durch die Rechnung. Als er die Tendenz des Bassisten realisierte, aus H.M. Samain werden zu lassen, zog er die Notbremse, suchte das Weite und ließ einen tobenden Emsermann zurück.
Ralphs Gedanken finden sich in einer Unterhaltung mit dem Autor, wiedergegeben in einer späteren Version seines gemeinschaftlichen Werkes mit Peter Ancaster:
Nach der vierten H.M. Probe endeten Ralph und ich im Bürgerkrug, einer Kneipe am Hagener Hauptbahnhof, die bis in die frühen Morgenstunden ihre Pforten geöffnet hielt. Ralph steuerte den Laden gewohnheitsmäßig an, denn hier landete er regelmäßig, wenn er auf Taxe oder Mietwagen Nachtschicht schob, und die geneigten Fahrgäste lieber daheim in ihren Betten pennten, als sich durch die Gegend kutschieren zu lassen.
Nachdem er seinen Kaffee und ich mein Pils hatte, fixierte er mich ein paar Sekunden lang.
»Sag mal, Jeff, was hältst du eigentlich von dem Projekt?« Ralphs Blicke schienen mich nun wie Laserstrahlen zu durchbohren. Ich hatte das Gefühl, als wenn ich gar nichts sagen brauchte, weil er sowieso alles direkt aus meinem Hirn lesen konnte. Das war eine Eigenheit Veetys, die mir von jeher unheimlich vorkam und mir, neben schweißnassen Händen, reichlich Unbehagen bereitete. Ich nahm einen Mutschluck aus der Pilstulpe.
»Was?«
»Tu nicht so ahnungslos! H.M. natürlich. Als wenn du nicht wüsstest, wovon ich rede«.
Er hatte Recht. Natürlich wusste ich das. Inzwischen konnte ich die Sprachbarriere nicht mehr als schlagendes Argument ins Feld führen. In diesem Falle schade.
»Geht mächtig ab«.
»Yeah! Zu mächtig für meinen Geschmack«.
»Hm, wie meinst du das?« Oh, Scheiße! Vorsicht! War das ‘ne Falltür-Frage?
»Spiel jetzt nicht den Unwissenden«.
Das klang ungeduldig. Ich zuckte mit den Schultern. »Und?«
»Du Arschloch, meinst du denn, ich wäre blind? Du müsstest mal dein Gesicht sehen, wenn wir spielen. Oder, noch besser, sieh dir Bernie an. Sein breites, genüssliches Grinsen ist beredter als tausend Worte«.
Stimmt! Das war mir auch aufgefallen. Überhaupt hatte ich - besonders nach der heutigen H.M. Probe - den Eindruck, als würde sich Bernies Arbeitseifer mehr auf H.M. konzentrieren, als auf SAMAIN.
»Ja..., was soll ich sagen?« Was Blöderes fiel mir nicht ein.
»Jeff, ich schmeiß H.M. hin. Wenn du mich fragst, und ich weiß, dass du das nicht tun wirst und deswegen sage ich es dir jetzt, das Projekt wird SAMAIN aushöhlen und zerstören. Hast du Bernies irren Blick gesehen, als wir Thor spielten? Nein! Es darf keine H.M. Probe mehr geben«.
»Dann wird Bernie aber reichlich sauer sein«, warf ich ein.
»Dann ist er eben sauer, wenn ich ungefragt das Handtuch werfe. Scheißegal, glaub mir, es ist das Beste für SAMAIN. Der Zeitpunkt ist günstig. Martin muss das Repertoire einüben, da bleibt für H.M. bis zum Gig eh keine Zeit mehr.«
Er machte eine Pause, in der er den brüllend heißen Kaffee mit einem Zug seine Kehle hinunterlaufen ließ, ohne eine Miene zu verziehen. Andere, so wie ich, saufen so ihr Bier. Dann lehnte er sich wieder zurück und musterte mich wieder mit diesem unheimlichen Veety-Blick.
»Nun?« Ralph wartete auf mein Statement. Bullshit!
»Und wie stellst du dir das vor? Wenn du Bernie das sagst, rastet der aus. Ich will mir erst gar nicht vorstellen, was das für Auswirkungen auf den Gig haben kann«.
»Mach dir mal deswegen keine Sorgen, Jeff. Meinst du denn, ich bin so blöd und sage ihm das jetzt? SAMAIN ist eine Weile beschäftigt. Für H.M. bleibt keine Zeit. Ergo komme ich nicht. Also keine dummen Fragen, wenn du mich erst auf’m Gig wieder siehst«. 4
*****
Ihren ersten öffentlichen Auftritt spielten Samain am 24. Juni 1983 im Rockpalast Hohenlimburg in der Besetzung Peter Ancaster (voc), Manfred Bayer (gtr), Fred Bertram (gtr), Bernd Emsermann (bg) und Martin Gombik (dr). Es war ein guter, ansprechender Gig, jedoch ohne die Energie ihrer späteren Konzerte.
Bernds Wunsch, im Anschluss an ihr Debüt mit Martin weiterzumachen und Peter Hennig den Laufpass zu geben, erfüllte sich allerdings nicht. Schon nachdem sie die Bühne verlassen hatten, offenbarte Gombik sich vorläufig und gänzlich der Motorradsaison hinzugeben und ausgiebige Fahrten mit seiner Roswitha zu unternehmen. Stante pede brachen zwischen ihm und dem Bassisten die alten Querelen wieder aus. Der Schlagzeuger verabschiedete sich und ein grollender Emsermann bedrängte seine Mitspieler Ancaster, Bertram und Bayer - letzterem unter Androhung von Schlägen, sollte dieser auch nur ein Sterbenswörtchen in Richtung Hennig verlauten lassen - in den nächsten Tagen andere Schlagzeuger auszuprobieren. Da Hennig noch nicht wieder einsatzbereit war, ließen sich in den kommenden drei Wochen problemlos mehrere Kandidaten zum Vorspielen einladen. Keiner vermochte Emsermann zu überzeugen und er entschloss sich zähneknirschend zunächst alles beim Alten zu belassen.
Im Juli erlitt Martin Gombik unverschuldet einen bösen Motorradunfall. Obwohl er sich von seinen Verletzungen erholte und weitgehend gesundete, war seine Laufbahn als Trommler für viele Jahre vorbei. Norbert Höhne verschwand spurlos, der Rockpalast drohte zu schließen und allein das Engagement Andreas Königs, unterstützt von seiner späteren Frau Gabi und seinem Schwager in spe, Peter Ancaster, konnte der Szenetreffpunkt vorerst gerettet werden. Nach einer kurzen Auszeit im August, konnte am 2. September mit der →Pee Wee Bluesgang die Wiedereröffnung gefeiert werden. Andreas König, als neuer Inhaber, setzte Peter Ancaster als Manager ein.
Ralph Veety, den Sommer über wieder mit dem Hitfestival auf Tournee, suchte schließlich die Aussöhnung mit Emsermann. Bernd, von Natur aus nicht nachtragend, winkte lediglich ab und flüsterte Ralf zu, seine Stunde für Samain würde bald schlagen. Und die Uhr tickte.
Noch in Gründungsformation, Peter Ancaster (voc), Manfred Bayer (gtr), Bernd Emsermann (bg), Peter Hennig (dr) und Fred Bertram (gtr), traten Samain am 22. Oktober zu einem Heavy Metal Festival Hagen gemeinsam mit Burning Hate und Evil an. Ein Auftreten wie es schlechter nicht hätte sein können.
Es begann damit, dass Bayer nicht zum Soundcheck erschien und Peter telefonisch mitteilte, er schulde Emsermann Geld, was er ihm derzeit nicht zurückzahlen könne. Um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, hielte er es für besser, dem Bassisten nicht über den Weg zu laufen. Die Konfrontation sollte er dennoch bekommen und zwar umgehend. Emsermann schäumte vor Wut. Er sprang in sein Auto und flog geradezu nach →Iserlohn, um den 'Flüchtigen' abzuholen. Einen Gig platzen lassen war für ihn eine Todsünde.
So musste Bayer dann doch auf die Bühne. Zu seinem Unglück verzog sich gleich im dritten Stück die Gitarre, und beim Versuch sie zu stimmen riss ihm eine Saite. Nervös und eingeschüchtert gelang es ihm weder eine neue aufzuziehen noch das Instrument zu justieren. Ralph Veety, der das Konzert mit seinem alten Jugendfreund Peter Fahl aufzuzeichnen gedachte, sprang in die Bresche und auf die Bühne, wechselte die Saite und stimmte die Gitarre. Peter Hennig war bereits stark angetrunken hinter seine Trommeln geklettert und trank während des Sets munter weiter. Song für Song verschlechterte sich sein Spiel, geriet aus dem Timing oder er trommelte Passagen aus gänzlich anderen Stücken. Peter Ancaster schließlich erlebte bei »Thor« einen Black Out. Von jetzt auf gleich vergaß er Einsatz und Text, brauchte etliche Takte bis er wieder in die Nummer fand. Emsermann war einem Herzinfarkt nahe. Nicht nur, dass unten im Publikum Ralph Veety stand, aufnahm, von Evil gefragt wurde, ob er bei ihnen einsteigen wolle und tatsächlich darauf wartete in diese Band einzusteigen, dass die Musiker anderer Bands ein Debakel peinlichsten Ausmaßes geboten bekamen, nein, er hatte auch einen Schlagzeuger, den designierten Nachfolger Hennigs eingeladen. Und der fragte sich in Anbetracht einer derartig grausigen Darbietung, warum er seine gut laufende Band verlassen und sich einer solchen Katastrophencombo anschließen sollte?
{ 1 Ralph Veety & Peter Ancaster, 'Ekrons Kinder', überarbeitetes Manuskript 1996, unveröffentlicht }
2 Darunter das später von Samain adaptierte ►»Malodorous & Lonely« ♪
3 Peter Ancaster, »Tagebuch 1983«
4 Ralph Veety & Peter Ancaster, 'Ekrons Kinder', überarbeitetes Manuskript 1996, unveröffentlicht